Aufwachen und Therapie

Aufwachen und Therapie

(aus: „SEIN“ Nov/2002)

Viele Menschen – sowohl TherapeutInnen als auch Menschen, die eine Therapie machen – entdecken, dass Therapie alleine nicht ausreicht, um wirklich den inneren Frieden, die Glück und die Freiheit zu finden, den sie sich wünschen. Trotz der Therapie sind sie noch nicht „zu Hause angekommen“, sie spüren immer noch die innere Sehnsucht. Therapie kann helfen, viele Verletzungen und Wunden zu heilen, aber um wirklich die innere Freiheit zu finden, ist eine spirituelle Perspektive nötig. Heute kann die Weisheit der verschiedenen spirituellen Wege verbunden werden mit dem Wissen und der Erfahrung therapeutischer Wege.

Man kann jedoch nicht einfach wie gewohnt Therapie machen und dazu etwas Meditation und das dann spirituelle Therapie nennen. Wenn Spiritualität eine grundlegende Transformation des Bewusstseins und nicht eine andere Art von Weltanschauung meint, dann verändert sie die therapeutische Arbeit tiefgreifend.

Das Ich tritt zurück

Jeder spirituelle Weg zielt darauf, dass die Illusion des Ich sich auflöst und das Einssein erfahren wird. Wenn das Ich „schwach“ ist, nimmt es sehr viel Raum ein: In Zeiten der Verunsicherung, in denen dann alle Gedanken um das Ich kreisen, um die Ängste und Sorgen. Da werden die Äußerungen der anderen auf einen selbst bezogen, alles wird zu einer Befürchtung, es entstehen endlose innere Dialoge, es wird sich selbst kritisiert, kommentiert und infragegestellt. Ein „starkes“ Ich dagegen nimmt wenig Raum ein, es tritt zurück. Je mehr du dich dann dem Fluss des Lebens anvertraust, desto mehr wirst du zum Beobachter des Lebens. Dabei bist du vollkommen lebendig, setzt dich dem Strom des Lebens ganz aus, aber du fühlst dich gleichzeitig voller Frieden und nimmst die Dinge nicht persönlich. Dann erfährst du das Nicht-Getrenntsein, und in dieser Erfahrung des Einssein wird das Ich sichtbar als eine Illusion. Das ist das Aufwachen, das früher so missverständlich „Erleuchtung“ genannt wurde. Das Aufwachen ist sowohl ein Moment des erstmaligen Erkennens als auch ein Prozess der Vertiefung und der Integration.

Solange die Ich-Gedanken da sind, werden praktisch alle Wahrnehmungen auf das Ich bezogen, direkt oder indirekt, bewusst oder unbewusst. Das hat zur Folge, dass das Denken nicht abreißt. Da beschäftigen sich die Menschen dann mit Kreuzworträtseln oder mit Computerspielen, um den Geist einmal entspannen zu können. Das ist ein Witz. Wenn die Ich-Gedanken aufhören, dann kann der Geist still sein, und der Verstand wird nur benutzt, wenn er gebraucht wird. Diese „Ebene der Ich-Transzendenz“ geht über jede Therapie hinaus. Therapie kann Probleme lösen helfen – die „Symptom-Ebene“ – und verbessert das innere Verhältnis zu dir selbst – die „Ebene der Ich-Integration“. So können Wunden heilen, aber jede Therapie ist begrenzt, und Heilung muss auf allen drei Ebenen stattfinden.

Der Weg des Aufwachens

Häufig wird unter dem spirituellen Weg ein Weg des Übens verstanden: Üben von Konzentration, üben von Mitgefühl, üben von Gerade-Sitzen, üben von Yoga-Haltungen. Aber das Aufwachen kann nicht eingeübt werden. Es ist nicht das Ergebnis von etwas, was gelernt werden kann. Nötig ist die Veränderung der inneren Haltung dem Leben gegenüber, die das Aufwachen wahrscheinlicher macht. Der Mensch macht früh die Erfahrung von Schmerz, von Tod und von der inneren Leere, dem schwarzen Loch. Er erfährt Hilflosigkeit und Ohnmacht. Von da an entwickelt er Strategien, Schmerz, Tod, dem schwarzen Loch und der Ohnmacht davonzulaufen. Es ist ein Paradox: Nicht der Schmerz, sondern das Weglaufen schafft den Alptraum und die innere Verkrampfung. Die Haltung, bereit zu sein, alles zu erfahren, was auftaucht, auch die tiefe Angst vor der Bodenlosigkeit, dem Tod und dem existentiellen Alleinsein, das ist der wichtigste Schritt, um die Freiheit und das Aufwachen zu entdecken. Das ist die Folge einer inneren Wahrhaftigkeit und wird belohnt mit einer zunehmenden Lebendigkeit und tieferen Frieden.

Therapeutische Wege

Die Arbeit mit dem Enneagramm verbreitet sich. Das Enneagramm ist ein Weg, die eigene Charakter-Fixierung und die innere Dynamik des Verhaltens wie in einem klaren Spiegel zu sehen. Es gibt 9 Fixierungen – und gleichzeitig ein paar Milliarden Persönlichkeiten. Wenn aber deine grundlegende Struktur, der Film, in dem du steckst, so überhaupt nichts besonderes, ja noch nicht einmal persönliches ist, dann ist das zugleich erschreckend und erleichternd. Das hilft dir zu realisieren, dass du etwas anderes bist, als der Film, der da abläuft. Du bist Liebe, Bewusstsein, Leere, die als tiefer, zeitloser Frieden erfahren wird.

Körper-Therapeuten sind oftmals gewohnt, Wege zum Spirituellen zu finden. Die Blockaden lösen sich und der Körper wird durchlässiger für die Erfahrung der Energien und der Gefühle. Die Erfahrung von Frieden, Liebe, Leere und Bewusstsein geht jedoch über die Grenzen des Körperlichen hinaus. Die Wahrnehmung der Körperempfindungen stehen oft so im Vordergrund, dass die tieferen Erfahrungen einfach verdeckt bleiben. Die Gefühle auszudrücken kann hilfreich sein für die Entwicklung von Lebendigkeit. Aber das ist erst der Anfang, und da liegt die Grenze der Körperarbeit. Die spirituelle Transformation erfordert das Gefühl vollständig zu fühlen und gleichzeitig weder wegzulaufen noch es auszuagieren, sondern still zu bleiben. Dadurch entsteht ein inneres Feuer, das dich in eine Tiefe führt, die dir vorher unbekannt war.

Trance, Hypnose und NLP zeigen, wie willkürlich die inneren Konzepte, Gedanken und Gefühle sind, wie wenig Realität ihnen zukommt und wie schnell sie oft geändert werden können einschließlich der Selbstkonzepte. Eine Reihe von Werkzeugen aus diesem Bereich, die oft auch große Ähnlichkeit mit schamanistischem Heilwissen haben, sind sehr wirkungsvoll. Und sie können erkennen helfen, wie unwirklich die Konzepte sind, einschließlich der Idee von einem „Ich“. Die Gefahr liegt allerdings darin, sich selber soviel zu manipulieren, dass das ganze Leben und die Person selber immer künstlicher wird und sich von der Lebendigkeit entfernt.

Es wäre etwas zum Familienaufstellen und zur Gestalttherapie zu sagen, die ja – nicht nur über Allan Watts – direkt vom Zen-Buddhismus beeinflusst war. Oder auch zur Psychoanalyse – alle therapeutischen Wege können Medizin sein, aber sie sind begrenzt. Eine spirituelle Perspektive kann und sollte diese Wege nutzen, aber die therapeutische Arbeit bleibt nicht die gleiche.

Diese Verbindung von Spiritualität und Therapie möchte ich in einem Vortrag und im Rahmen eines Wochenendseminars darstellen und erfahrbar machen. Dies Angebot wendet sich an TherapeutInnen und Menschen aus anderen Heilberufen, die den spirituellen Aspekt ihrer Arbeit entdecken und vertiefen und neben ihrer Arbeit ihre eigene Entwicklung fördern möchten.

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